SPIRITUELLE GESCHICHTEN

Das Gebirge der Illusionen oder Kleine-Mut-Mach-Geschichte

Ich möchte Euch heute eine kleine Geschichte erzählen von Menschen, die am Fuße einer breiten Gebirgskette standen.

 

 

Es war Nacht in ihrer Seele und sie hatten auf die ein oder andere Art ihr Zuhause verloren.

 

Nun gab es aber ein paar Visionäre unter ihnen, die nicht daran glaubten, dass diese Situation das Ende aller Weisheit sei; und auch in alten Büchern war es aufgeschrieben, dass hinter dem Gebirge wunderbar wärmendes Licht und ein Zuhause für alle sei.

So begannen die Mutigen unter ihnen, Hammer und Meißel zu nehmen und damit einen Tunnel durch das Gebirge zu meißeln. Ein großer, breiter Tunnel sollte es werden und jeder meißelte an seinem Stück direkt vor sich.

 

Der Anfang war nicht leicht, mussten sie sich doch von den meisten Menschen, die ihnen vertraut waren, verabschieden.

Sie blickten sich nicht mehr um und schafften es, Millimeter für Millimeter weiterzukommen. Manchmal verließ sie der Mut und sie dachten, was für ein aussichtsloses, mühseliges Unterfangen. Welche Inspiration hat uns nur hierher getrieben? Und sie zweifelten, hörten das teils sehr höhnische Lachen derer, die noch draußen standen, ihren üblichen Tätigkeiten nachgingen und auch teilweise zusahen. Sie fühlten sich oft sehr einsam. Doch mit steter Disziplinierung ihrer Gedanken begannen sich aber gleichzeitig ihrer Visionen zu erinnern.

 

 

Mit ihren neu erwachenden Sinnen versuchten sie Tag für Tag in Kontakt zu kommen mit der Welt, die hinter der Gebirgskette lag und es funktionierte immer besser.
Wenn der eine oder andere zweifelte und sich in der scheinbaren Realität des Tunnels verfing, war ein anderer gerade im Vertrauen und half, den Fokus wieder auf das Ende des Tunnels zu richten und so halfen sie sich gegenseitig weiter.

Als sie schon ein gutes Stück vorangekommen waren, spürten einige Menschen, die noch draußen warteten, dass die Menschen im Tunnel sich immer sicherer wurden und nicht aufgaben. Es musste tatsächlich irgendeine Kraft in ihnen sein, die sie in dieses mühselige, scheinbar aussichtslose Treiben führte.

Und sie wurden neugierig, begannen also genau dort, wo sie standen, den Tunnel zu verbreitern, indem sie links und rechts von dem Loch, das ja schon bestand, ihr Stück in den Berg hinein zu meißeln, so wurde der Tunnel wieder um ein großes Stück breiter. Wenn sie die Kraft verließ, riefen sie nach ihren Freunden und Bekannten, die sich ja schon ein gutes Stück weiter im Berginneren befanden. Diese machten ihnen Mut, nicht aufzugeben und holten ihnen immer wieder die Vision vom lichtvollen, warmen Zuhause in Erinnerung…

Dies ist nun schon viele Jahre her und noch viele Menschen haben sich daran gemacht, den Tunnel um ihr Stück, das sie herausmeißeln, zu erweitern.

Viele der Pioniere haben einen langen, langen Tunnel herausgemeißelt, haben ihre körperlichen Reserven oft überschritten, angetrieben von einer inneren Kraft, die sie in ihrer Größe gerade kennenlernen. Und da sitzen sie nun oft müde, nach endloser Arbeit und Mühe, steter Disziplin im Geiste, sich verbindend mit der neuen Welt. Geben trotz ihrer eigenen Müdigkeit noch Tipps und Rat und Mut zum Weitermachen. Einige helfen sogar den anderen dabei, deren Stück des Tunnels Schicht für Schicht mit abzuarbeiten.

So ist also die derzeitige Situation und viel Unmut ist ausgebrochen, sowohl unter den Pionieren als auch unter denen, die nachfolgten. Wir ahnten ja nicht, dass das Gebirge so tief ist, war das wirklich alles ein guter Plan?

Einige stampfen auf mit dem Fuß wie ein trotziges Kind und rufen: ich habe soviel gemeißelt, ich habe es jetzt verdient, dass ich auf der anderen warmen Seite ankomme!

Andere wiederum sinken in sich zusammen, müde, traurig, resigniert.

Zum Glück gibt es immer noch diejenigen, die den Geist so diszipliniert haben, das sie ihn erheben können über das Gebirge der Illusionen. Und das, was sie sehen, ist die Sonne und die Wärme und das neue Zuhause auf der andere Seite… aber was noch viel besser ist, sie sehen, dass die Menschen mit ihrem Tunnel fast durch das Gebirge hindurch sind. Einige haben noch ein paar Meter vor sich, andere nur noch einige Zentimeter. Da der Felsen jedoch eine hohe Dichte hat, sieht man selbst dann nicht das Licht, auch wenn es nur noch ein paar Millimeter zu durchtrennen gilt. Das ist sehr klug eingerichtet, denn es prüft das Vertrauen der Menschen bis zum letzten Augenblick; denn im letzten Augenblick ist niemand mehr da, der einem weiterhelfen könnte, zumindest nicht sichtbar für das menschliche Auge.

Und so ist der Mensch auf sich gestellt, aufgefordert, in die Meisterschaft zu gehen und das Vertrauen in das Licht, das wartet, vollständig zu integrieren. Denn es wäre keine Meisterleistung, wenn Du hindurchgehst, weil ein anderer Mensch das Vertrauen für Dich aufrecht erhält. Nur ein Meister kann in das neue Zuhause einziehen.

So wünsche ich uns allen die Kraft und die Disziplin, unseren Geist zu erheben. Erhebt ihn über das Gebirge und schaut, wie lang der Tunnel schon ist, den ihr gegraben habt. Es bringt gar nichts, zurück zu schauen oder gar zurück zu gehen. Dieser Weg wäre um soviel länger, als den Rest des Tunnels zu durchbrechen. Lasst Euch nicht dadurch entmutigen, dass hinter jeder Schicht, die ihr abarbeitet, wieder nur neuer Fels wartet. Lasst Euch nicht täuschen von der dichten Felswand der Illusion. Was, wenn sie nur noch einen Hauch breit wäre?


Autorin: Claudia Grave

Geschichte für die Seele von Andrea Heitz

Das Glück des Tüchtigen

Eines Tages empfand das Glück tiefes Unglück. Betrübt saß es auf einem Stein, sich die Frage stellend: „Warum darf ich nie lange bei jemandem bleiben? Kaum bin ich wo gelandet, muss ich schon wieder weg, oft noch bevor dieser jemand bemerkt hat, dass ich da war.“ Mit nach unten gezogenen Mundwinkeln saß es auf einem Stein und malte Fragezeichen in den Kies.

 

Da kam die Zufriedenheit vorbei, milde lächelnd wie immer. „Hallo Glück“, sagte sie sanft, „was ist denn mit dir los?“ Das Glück runzelte die Stirn, Widerwille verspürend, sich erklären zu müssen. Aber dann brach es doch aus ihm heraus: „Immer muss ich gleich wieder verschwinden.

 

Gestern zum Beispiel war ich bei einer jungen Frau, die seit Tagen um ihren Sohn gezittert hatte. Der kleine Junge war wegen eines Tumors am Kopf operiert worden und dann stand endlich fest, dass das Gewächs nicht bösartig war. Ihr Herz schlug Purzelbäume, sie konnte nicht mehr zwischen Lachen oder Weinen unterscheiden und sah schöner aus als alle Schönheitsköniginnen zusammen.

 

Heute Morgen erklärte ihr ihr Chef, er müsse ihr kündigen, er könne keine Teilzeitkraft gebrauchen, die sich ständig Pflegeurlaub nimmt. Also habe ich mich wieder abflugbereit gemacht. Und jetzt streike ich. Warum konnte ich nicht wenigstens drei Tage bei ihr bleiben?“

 

Die Zufriedenheit blickte in das unzufriedene Gesicht des Glücks. Sie verstand seinen Frust, erging es ihr doch genauso. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Langsam ging die Sonne unter und verwischte mit ihrer rosigen Wärme die scharfen Konturen der Welt.

 

Dann sagte die Zufriedenheit:

„Weil du das Glück bist und keine Gewohnheit.“

 

Je dunkler es wurde, umso mehr leuchtete das dem Glück ein.

Bilder: pixabay.com